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A wie Anlehnung

Wenn über Anlehnung diskutiert wird, gehen die Meinungen häufig weit auseinander. Was ist Anlehnung? Wie sollte sie sich anfühlen? Braucht man sie wirklich? Wann spielt sie im Verlaufe der Ausbildung eine Rolle? In diesem Artikel beschreibe ich meine Perspektive. (Foto: Kati Westendorf)

 

Definition: Anlehnung an die Hand (von manchen Autoren auch Zügelanlehnung genannt) entsteht, wenn das Pferd anhaltend bereit ist, sich an die Hand des Reiters heranzustrecken und diese Hand weichen Kontakt anbietet. Die Anlehnung ist nicht vorhanden, wenn das Pferd über der Hand, hinter der Hand auf die Hand oder gegen die Hand geht.


Ab wann wird sie zum Thema?

 

Wenn wir auf die Ausbildungsleiter der Akademischen Reitkunst schauen, gibt es schon früh Momente, wo Anlehnung zum Thema werden kann, z.B. in der Bodenarbeit. Wenn Du in der Bodenarbeit rückwärts vor dem Pferd her gehst, hälst du die Fingerrücken einer Hand weich an der Pferdenase, sodass der Nasenriemen des Kappzaums auf deinem Zeigefinger ruht. Deine Hand umschließt weich die Longe. Wenn du in einem ruhigen, passenden Takt rückwärts auf der Zirkellinie von deinem Pferd her gehst und es die Biegung findet, so kannst du beobachten, dass der Widerrist sich jedes Mal ein wenig hebt, wenn ein Vorderfuß nach vorne greift. Im gleichen Moment bewegt sich die Nase des Pferdes ein bisschen nach vorne-unten und die Ohren federn nach vorne. Ich bezeichne das rhythmische "Sich-Senken", oder Nicken der Nase gerne als Stippen, denn dieser Begriff führt zu einem anschaulichen Vergleich, darauf komme ich gleich zu sprechen. Du spürst mit der Hand, die du am Nasenriemen liegen hast, dass die Nase bereit ist, nach vorwärts-abwärts zur Hand hinzukommen. Wenn du spürst, dass deine Hand ohne Krafeinwirkung die Nickbewegung in die Tiefe begrenzen kann, dann bietest du einen weichen Kontakt an. Wenn das Pferd gleichmäßig nach diesem Kontakt zur Hand sucht, nenne ich das Anlehnung an die Hand. Wie aber unterscheidet man durch dieses Gefühl "das Strecken an die Hand heran" vom "Drücken auf die Hand", etc.? Stell dir vor du hieltest in der Hand eine leichte Futterschüssel, oder -noch besser - eine Schale mit einem Dipp. Dein Pferd senkt mit jedem Schritt seine Nase ein wenig in die Schale, aber eben nur so stark, als wolle es einen Keks in den Dipp stippen, ohne dass dieser Keks zerbricht. Wenn es dabei ständig die Schale (also deine Hand) mit der Nase nach unten drückt, ist es "auf der Hand". Wenn es die Nase nicht zur Schale hin senkt, ist es "über der Hand". Wenn es der Schale mit der Nase rückwärts ausweicht, ist es "hinter der Hand". Wenn es die Schale mit der Nase vor sich her schiebt, geht es "gegen die Hand". Wenn du hingegen die Hand etwas höher oder niedriger platzieren kannst, ohne dass das Pferd aufhört mit gleichmäßiger Intensität sachte zu deiner Hand hin zu "stippen" dann streckt es sich gleichmäßig an die Hand heran und du nimmst mit der Handes als Anlehnung wahr.

 

Anlehnung an die Hand - wann kann sie funktionieren?

 

Anlehnung  an die Hand kann nur dann funktionieren wenn die Hand in Richtung der Wirbelsäule des Pferdes einwirken kann. Es geht NICHT darum, dass die Hand dem Pferd eine physische Stütze liefert, sodern darum, dass die Hand als Sinnesorgan spürt, dass das Pferd bereit ist, sich in die Biegung zu strecken und dass sie spürt, wie die Paraden durch den ganzen Pferdekörper hindurch wirken. Dieses Gefühl kann ich z.B. haben, wenn meine Hand direkt vor der Pferdnase ist (Bodenarbeit von vorne geführt), oder wenn die Hand die Zügel über dem Wiederrist hält (Reiten, Handarbeit), wenn die Hand Beide Zügel auf Höhe der Kruppe hält (Langzügel, ebenfalls eine Form der Handarbeit). In etwas begrenztem Maß ist sie möglich, beim Cross-over zwischen Longieren und Langzügelarbeit sowie beim Longieren/ bei der Bodenarbeit von der Seite, vorausgesetzt der Mensch und insbesondere die Hand mit der Longe ist nahe genug und weit genug hinten am Pferdekörper, sodass die Hand die Richtung der Nase des Pferdes deutlich spüren kann und das Pferd durch den Einfluss der Hand nicht verleitet wird eine Abwehrspannung in der äußeren Oberlinie aufzubauen. Eine "Anlehnung" an der Longenhand nach außen zeugt meist von solchen Spannungen.

 

Brauchen wir Anlehnung?


Jein! In der einen oder anderen Form brauchen wir Anlehnung. Sogar wenn man gänzlich ohne Kopfstück arbeitet und vielleicht sogar den Halsring weglässt, braucht man "Anlehnung", wenn man sicherstellen möchte, dass Pferd jederzeit bereit ist, die Oberlinie zu strecken. Letzteres dient der Überprüfung, dass das Pferd noch "über den Rücken" geht. Was meine ich aber mit Anlehnung, wenn ich sie sogar bei der Arbeit ohne Kopfstück nutzen möchte? Denn die Anlehnung an die Hand ist ohne Kopfstück und Halsring ja nicht möglich.

Bei der Longenarbeit z.B. wird deutlich, dass das Pferd nicht die ständige physische Begrenzung durch den Einfluss meiner Hand braucht, um zu wissen, wie weit es sich vorwärts abwärts strecken soll. Es orientiert sich nämlich in der Regel viel mehr an meiner Körpersprache und meiner Balance, als an dem, was an physischem Einfluss über den Nasenriemen kommt. Viele Pferde, die motiviert an der Longe mitarbeiten, können ebenso ohne Longe in Freiarbeit longiert werden. Auch hier kann man jederzeit die Bereitschaft zur Rahmenerweiterung/das Abwärtsstrecken oder eben zu mehr Versammlung abfragen. Dies funktioniert, weil das Pferd mit den Augen "Anlehnung" an der Balance und Körpersprache des Menschen nimmt. Dieser spürt umgekehrt nicht mit der Hand, wie das Pferd auf seine Hilfen reagiert, er sieht es. 

 

Ähnliches geschieht beim Reiten, weshalb ein Pferd grundsätzlich auch ohne Kopfstück und Halsring gesund über den Rücken geritten werden kann (wenn es denn gelingt). Reiter und Pferd müssen dazu gelernt haben, die Balanceverschiebungen des jeweils anderen zu spüren und ihnen ggf. zu folgen.  Wenn ich eine Parade gebe, tue ich dies ja auch beim Reiten mit Kopfstück nicht allein über die Hand, sondern durch meinen Sitz. Die Hand spürt lediglich nach bzw. "erinnert" das Pferd dort, wo es dem Sitz nicht gefolgt ist. Umgekehrt kommt auch das Nachgeben, wenn dass Pferd sich wieder in den größeren Rahmen strecken darf und soll, aus der Veränderten Balance des Reiters, und besteht nicht nur im Vorgeben der Hand. Ist das Pferd dieser Art "am Sitz" so kann man dies also auch als "Anlehnung am Sitz" bezeichnen. Durch die Hilfen des Sitzes, kann ich auch die Anlehnung an der Hand reduzieren, indem ich z.B. eine Parade mit dem Sitz gebe, die Hand aber bewusst sinken lasse.

 

Können wir die Anlehnung an der Hand dann nicht ganz weglassen?

 

Ja, man kann die Anlehnung an der Hand in der fortgeschrittenen Ausbildung aufgeben oder sogar ganz aus der Ausbildung streichen. Ich behaupte, dass man ein Pferd auch ohne dieses "Instrument" gesund ausbilden und reiten kann (wenn man es denn kann). Ich behaupte es, weil ich Pferde getroffen habe, die Krankheitsbedingt keine Berührung ab Kopf ertragen können und deren feinfühlige Besitzer dennoch einen guten Zugang zur gemeinsamen Arbeit gefunden haben  und sie nicht in die Schablone eines Ausbildungskonzeptes pressten. Ich kenne einzelne Ausbilder, die dieses Vorgehen auf alle ihre Pferde anwenden.

Für die Ausbildung der meisten Pferde und vor allem der Reiter ist die Anlehnung an die Hand aber ein wertvolles Werkzeug. Ich finde es wichtig, dass man lernt, die Botschaften des Pferdes mit der Hand zu erspüren. Warum sollte man sich in der Kommunikation mit einem Freund freiwillig eines Sinnes berauben? Ich kann darauf verzichten, dieses Werkzeug/diesen Sinn einzusetzen, aber ich sehe einen deutlichen Mehrwert darin, dass man das Werkzeug/dieses Gefühl kennt und damit umgehen kann. Anlehnung ist ein Wort, dass mit vielen Missverständnissen und Interpretationen behaftet ist, die nichts mit Feingefühl zu tun haben. Häufig wird versucht die richtige Anlehnung mit einem bestimmten Grand von Gewicht in bzw. auf der Hand zu definieren. Dieses Vorgehen halte ich für eine Sackgasse. Man kann positive Anlehnung meines Erachtens nur dadurch definieren, wie sie sich in der Hand und im Pferdekörper anfühlt. Damit man mich nicht bezichtigt, mich mit meiner Interpretationen in einem Elfenbeinturm zu befinden,  möchte ich gerne Udo Bürger aus seinem Buch "Vollendete Reitkunst. Erstrebt - erforscht - erfühlt" zitieren, dessen Beschreibung von Anlehung ich sehr mag und der nicht nur für den "Akademikern" oder "Schulreitern" sondern auch Freunden der klassischen Kampagneschule ein Begriff ist:

"Die leichte Anlehnung ist [...] Vorbedingung für die dressurmäßige Aufrichtung." (S.90)

"In der leichten Anlehnung trägt das Pferd das Gebiß mit den gedehnten Kaumuskeln, d.h. bei geschlossener Lippenspalte ist der Unterkiefer leicht geöffnet. Der losgelassene Kaumuskel macht nicht etwa taktmäßige Kaubewegungen, sondern hält durch ständiges Mitbewegen die Fühlung der Zunge und Lade mit dem Gebiß." (S. 88)


"Und wenn ich eine ganze Dressuraufgabe ohne Zügelanlehnung reiten könnte und das Pferd wäre untadelig im Gang, Schwung, in der Haltung und in der Befolgung der Hilfen, dann ist das Pferd herrlich am Sitz, und es kann gar nicht besser gemacht werden." (S. 91)

Udo Bürger ritt übrigens nach eigener Aussage alle seine Pferde ohne Reithalfter. Er sah im nicht locker genug sizenden Reithalfter eine Gefahr für die Losgelasseneheit des Pferdes und ein Mittel um Reiterfehler zu kaschieren und erkannte nur in Zusammenhängen die mit feinem Reiten nichts zu tun haben, einen Mehrwert für das Pferd im Gebrauch von Reithalftern.(vgl. S. 89 u. 136 f.)

 

Eine verhängnisvolle Idee

 

Die Tatsache, das der Grad der Anlehnung mit Fortschreiten der Ausbildung feiner wird, führt bei manchen Reitern und Ausbildern zu dem Missverständnis, das eine "starke" Anlehnung, also Gewicht in der Hand am Beginn der Ausbildung normal und wünschenswert sei. Dies aber führt zu Druck im Maul und zu Spannungen im Pferd. Am Anfang der Ausbildung ist es viel mehr normal, dass ein Pferd (insbesondere unter dem Reiter) noch nicht konstant nach der weichen Anlehnung sucht, weil es noch nicht konstant über den Rücken gehen kann. Hier sind Pausen, Abwechslung und langsam aufbauendes Training gefragt, anstatt Zug auf den Zügel zu bringen und das Pferd zum Gegenziehen zu animieren. Zur Abwechslung könnte man ja z.B. absitzen und die Anlehnung in der Bodenarbeit wiederherstellen oder verbessern, siehe oben.

Feedback und Nachfragen sind willkommen. Für weitere Themenwünsche zum "Lexikon der Akademischen Reitkunst" bin ich  offen, hinterlasse mir doch einfach einen Kommentar.

 

Viel Spaß mit den Pferden! ;-)

 

Quelle der Zitate: Udo Bürger, Vollendete Reitkunst. Erstrebt - erforscht - erfühlt, 5. Aufl., Berlin/Hamburg: Parey, 1982.

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Comments: 1
  • #1

    Nina (Wednesday, 31 October 2018 18:54)

    Danke für den Text und die Gedanken zur Anlehnung-ich könnte alles so für mich nachvollziehen aus meiner Erfahrung. Ich wechsle hin und her zwischen Handarbeit u Reiten mit Gebiss und Gebisslos um für mich mit beidem Erfahrung zu sammeln..